Farben nannte Ernst Ludwig Kirchner (1880-1938) sein “Erkennungszeichen”, die er aus den neuen industriell produzierten Tuben auf die Leinwand auftrug. Vermischt mit etwas Wachs bekamen sie eine matte aber intensive Leuchtkraft. Die Art wie er diese verwendete war bahnbrechend und ungewöhnlich etwa wie beim blauen Gesicht der Dodo (Abb.), oder den gelbe Akten der “Tanzschule” von 1914.
Bis aufs Kleinste durchdacht, waren seine Arbeiten alles andere als spontane göttliche Eingebung, obwohl er dies als “Farbenmensch” gerne so darstellte. Er experimentierte mit der Farbenlehre und oft war seine Druckgraphik Grundlage für die Motive und Kompositionen seiner Bilder. Er malte, übermalte und korrigierte seine Werke, die er auch Jahre später im fertigen Zustand immer wieder veränderte. So befinden sich auf einer Leinwand oft mehrere, zeitlich unterschiedliche, Schichten. Zufrieden war er fast nie. Gelegentlich verwarf er die Vorderseite und verwendete, um Leinwand zu sparen, die Rückseite. 1) Obwohl vieles über Kirchner bekannt ist: Diese Gegebenheiten erschweren zuweilen die zeitliche Einordnung seiner Bilder. Er hatte vor allem eines: Keine Hemmungen seine Arbeiten vorzudatieren, legte er doch Wert darauf, stets künstlerischer Vorreiter zu sein.
Kleine und grössere Übermalungen, frei nach dem bekannten Sprichwort, haben kurze Beine: Seit 2009 wird das Werk des Künstlers interdisziplinär im Rahmen eines Forschungsprojektes in der staatlichen Akademie der bildenden Künstein Stuttgart in Zusammenarbeit unter anderem mit dem Doerner Institut und dem Kirchner Museum in Davos aufgearbeitet. Da wurden einige seiner Methoden zu Tage gefördert. Die Ergebnisse dieser Arbeit sind die Grundlage für eine Ausstellung, die derzeit in der Pinakothek der Moderne in München noch bis zum 31.8.2014 zu sehen ist. Einige der Bilder sind in der Ausstellung übrigens frei stehend, als mit sichtbarer Vorder- und Rückseite ausgestellt. Am 15. Juli, werden diese Werke gewendet, dann wird die Rückseite zur Vorderseite.
Aber nicht nur seine nur seine Gemälde sondern auch seine nicht unbedeutende Druckgraphik erfährt gerade eine Neubearbeitung durch den Sammler und ehemaligen Biochemiker Günther Gercken. Der Aufwand ist hoch: Nach 12 Jahren akribische Forschung und Reisen an allen Orten an denen sich Kirchner aufgehalten hatte, um sich besser in den Künstler hineinzuversetzen, sind jetzt die ersten beiden Bände des geplant 7-teiligen Werksverzeichnisses erschienen. Sein berufliches Vorleben hilft ihm dabei: “Ich habe einen sachlichen Zugang. Alles muss bewiesen werden. Änderungen nehme ich nur auf, wenn sie abgesichert sind. Das ist das naturwissenschaftliche Element in meiner Arbeit.” 2) Einen Teil des druckgraphischen Werkes Kirchners kann man noch bis zum 7. September 2014 im Bucerius Kunst Forum in Hamburg, sehen.
In Zeiten des regelmässigen Zweifels an der Echtheit von Kunstwerken zeigen beide Projekte, die Forschungen zum malerischen, wie zum druckgraphischen Werk Kirchners, dass man durch objektives, gründliches Vorgehen und interdisziplinärer Zusammenarbeit vertrauenswürdige Ergebnisse erzielen kann.
1) Damit war er nicht der Einzige: Zum Beispiel Max Pechstein oder Alexej von Jawlenksy verwendeten ebenfalls die Rückseite ihrer Arbeiten.
2) Mehr dazu in Hamburger Abendblatt: “Guenther Gerckens Arbeitsverhältnis mit Ernst Ludwig Kirchner”
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